Thin Client Experimente

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02.03.2023

Ich bin wahrscheinlich wieder mal als Letzter auf einen Trend aufmerksam gemacht worden: Da heutzutage die Beschaffung fon Raspberry Pi Minicomputern immer schwieriger wird, ist mancher dazu übergegangen, ausgemusterte Thin Client Computer mit amd64 kompatiblen Prozessoren an ihrer Stelle einzusetzen.

Ich erfuhr davon, nachdem mir ein geschätzter (inzwischen muss ich bald schreiben ehemaliger) Kollege mir erzählte, dass er 10 Stück davon für 50 Euronen ergattert hatte und mir anbot, mit einem davon eine Testfahrt zu unternehmen. Ich war zunächst über den Preis erstaunt und begann zu recherchieren.

Im Rahmen dieser Recherchen erfuhr ich davon, dass diese Rechner - alte Thin Clients, die in Unternehmen ausgemustert wurden - Stück für Stück frühere Domänen der Raspis erobern. Tatsächlich ist es ja so, dass viele Projekte, in denen Raspis zum Einsatz kommen nicht unbedingt die diversen Möglichkeiten nutzen, Hardware anzuschließen sondern den Raspi als Möglichkeit nehmen, einen möglichst stromsparenden und dennoch potenten Computer als kleinen Server einzusetzen.

Das war auch schon mein erster Test: Das Modell, das ich in die Finger bekam war ein Fujitsu Futro 720S mit jeweils 2GB RAM und Massenspeicher - allerdings auch ohne Netzteil. Die Eingangsspannung ist mit einem Wert zwischen 19 und 20 Volt angegeben. Ich benutzte ein Labornetzteil, beschränkte den Strom auf 2 Ampere und schaltete ein: Der kleine Rechner zog bei 20 Volt nie mehr als 700 mA und normal war ein Verbrauch von um die 5 Watt. Nachdem ich gerade einen Verbrauchsmessungsmarathon in meinem Arbeitszimmer durchgezogen hatte und wusste, wie viel Leistung die diversen auf PC-Basis beruhenden Geräte in verschiedenen Szenarien verbrauchen war ich über diese Werte sehr erfreut.

Der kleine Rechner verfügt über zwei Kerne - jedoch ohne Multithreading. Als nächstes versuchte ich, Linux auf dem kleinen internen Massenspeicher zu installieren. Das Booten per PXE funktionierte zwar tadellos, jedoch schlugen alle Versuche fehl, darüber eine Installation auszuführen. Erst als ich das Debian netinstall Image auf einen USB-Stick kopiert hatte und von diesem bootete konnte ich Linux (Debian) installieren. Allerdings muss man dabei beachten, dass man dazu in meinem Szenario die Partitionierung des Massenspeichers von Hand vornehmen muss: Debian reserviert anderenfalls über die Hälfte als Swap-Partition und damit reicht der verbleibende Platz für die Installationsdateien nicht mehr aus. Hat man diese Klippe umschifft, kann man Debian auf dem Gerät installieren.

Einen weiteren Test vollzog ich anschließend noch (die Tatsache, dass nach der Installation des Betriebssystems und direkt nach dem Booten lediglich etwas über 50MB RAM verbraucht waren hatte mich abenteuerlustig werden lassen): Ich installierte Docker. Nach dieser Installation und Start des Hello-World-Images waren allerdings auf dem Massenspeicher nur noch magere 40MB frei (nachdem ich den Apt-Cache geleert hatte, verbesserte sich die Situation auch nicht sehr), so dass ich von weiteren Tests absehen musste.

Statt dessen holte ich eine bereits sehr alte aber von mir hochgeschätzte Lösung wieder einmal aus der Versenkung: LTSP. Das Linux Terminal Server Projekt hat in den vergangenen Jahren - auch, was Nutzerfreundlichkeit angeht - nochmals deutlich hinzugewonnen. Die Installation verlief völlig problemlos - die meiste Zeit ging für das Bauen der Client-Images drauf.

Anschließend konnte ich das Gerät in der Rolle testen, für die es eigentlich einmal konzipiert worden war: als Thin Client. Das Gerät bootete per PXE sofort das auf dem Server administrierte Client-Image, ich konnte mich anmelden und wurde von einem Mate-Desktop begrüßt. Zu Beginn startete ich zunächst Mozilla Firefox - der ließ bereit mit zwei geöffneten Tabs praktisch gar keinen freien RAM mehr zurück - aber das hatte ich so erwartet. Der nächste Test war dann eine Verbindung zu Youtube. Videos in der Auflösung 720p spielte das System immer noch ruckelfrei ab.

Ein anschließender Test mit LibreOffice zeigte, dass das System für solche Anwendungen ideal ist: Diese Anwendung reduzierte den verfügbaren RAM lediglich um ungefähr 60MB - bei einem leeren Dokument; mit größeren Dokumenten wird dieser Wert natürlich weiter ansteigen. Schließlich probierte ich noch KiCad aus, aber hier war ich auf eine Anwendung gestoßen, die mit den zur Verfügung stehenden 2GB an RAM definitiv unzufrieden war.

Mein vorläufiges Fazit: Für den Preis (Bei EBay wurden inzwischen wieder Bundles aus 10 solcher Geräte für allerdings inzwischen 67 Euronen gesichtet) ist die gelieferte Leistung überaus interessant - auch wenn man für einen Einsatz als Stand-Alone-Rechner den Massenspeicher definitiv aufstocken muss. Ob der RAM ausreicht muss man je nach Szenario entscheiden. Wenn man nicht in der glücklichen Lage ist, ein passendes Netzteil bereits zu besitzen kommen für eine dauerhafte Nutzung tatsächlich einige Kosten hinzu: Das Netzteil, Massenspeicher (Sata ist mit Basteln möglich, ansonsten USB 3), gegebenenfalls RAM - hier muss man eben versuchen, so kostengünstig wie nur irgend möglich einzukaufen oder auf Glück in der Grabbelkiste vergangener Projekte hoffen... Noch ein Wort zum Netzteil: diese Geräte erlauben es prinzipiell auch, sie über Power over Ethernet zu versorgen. Allerdings kosten die entsprechenden Original-Teile im Internet heutzutage stolze 80(!) Euronen - ein Preis, der die Versorgung per separatem Netzteil nur dann nicht erlaubt, wenn es am Einsatzort wirklich gar keine Steckdose gibt!

Nach den hier geschilderten Experimenten kamen noch einige Gedanken, was man mit einem solchen Gerät anfangen könnte und ich sah parallel dazu in meiner Grabbelkiste nach, was ich da noch so zu Tage fördern könnte. Inzwischen kann ich bestätigen, dass das System problemlos in der Lage ist, insgesamt vier Netzwerkinterfaces zu bedienen: 1 internes eth, 1 über USB 3.0 angebundenes eth, 1 über den mini-PCI-Steckplatz angebundenes eth und ein per USB 3.0 angebundenes WIFI. Ebenso war es mir möglich, über einen über USB 3.0 angebundenen Bluetooth-Dongle mein Android-Handy als Bluetooth-Tastatur zu benutzen.

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Manche nennen es Blog, manche Web-Seite - ich schreibe hier hin und wieder über meine Erlebnisse, Rückschläge und Erleuchtungen bei meinen Hobbies.

Wer daran teilhaben und eventuell sogar davon profitieren möchte, muß damit leben, daß ich hin und wieder kleine Ausflüge in Bereiche mache, die nichts mit IT, Administration oder Softwareentwicklung zu tun haben.

Ich wünsche allen Lesern viel Spaß und hin und wieder einen kleinen AHA!-Effekt...

PS: Meine öffentlichen GitHub-Repositories findet man hier - meine öffentlichen GitLab-Repositories finden sich dagegen hier.