IOTA oder wie eine Blase funktioniert

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17.06.2017

Ich wurde gefragt, ob ich Einschätzungen zu Crypto-Currencies machen könnte. Speziell wurde ich nach Ethereum gefragt - einer, von der ich bereits gehört und für die ich mich bereits kurzzeitig milde interessiert hatte - und IOTA, die mir völlig unbekannt war. Ich begann mit einer Analyse der mir unbekannten und wurde überrascht.

Einleitung

Zunächst möchte ich hier vorausschicken, dass ich die Satireflags nicht erkannt habe und das tut mir leid.

Nachdem das gesagt wurde: Vor fast einem Jahr schrieb das BitCoinBlog folgendes:

"Ende vergangenes Jahr wurden die IOTA-Token vorverkauft, womit das Team rund 500.000 Dollar eingenommen hat. Heute, gut ein halbes Jahr später, hat sich der Wert der Token, der bislang nur inoffiziell gehandelt wird, auf mehr als 15 Millionen Dollar vervielfacht."

Diese Aussage las ich erst, nachdem ich mich durch das offizielle Material auf der Webseite gequält hatte: Die Quälerei fing schon damit an, überhaupt irgendwelche Informationen aus der Seite zu extrahieren: Auf einem voll gepatchten Windows 7 brauchte ich drei Anläufe, um die von irgendwelchen Soziologen-Hipstern, die das Inhaltsverzeichnis von "HTML und Javascript in 24 Tagen" gelesen hatten, gebaute Seite laden zu können: Sowohl Firefox als auch IE blieben bei dem ganzen Bling-Bling und Animationsscheiß irgendwann unter Nutzung von 100% Prozessorzeit hängen. Habe ich Chrome probiert - damit gings dann.

Auf der seite selbst war ich schon bedient, weil sich da doch einige Fehler eingeschlichen hatten. Aber welcher Investor investiert bitte Geld (auch wenns nur wenig und der Verlust verschmerzbar wäre) in eine Klitsche, die von so einer Webseite behauptet, dass sie über das Produkt informiert? Offenbar nur solche, die von Technik keine Ahnung haben und sich nicht die Mühe machen, Informationsmaterialien - wie seicht sie auch immer sein mögen - zu studieren.

Meine letzte Hoffnung war dann das White-Paper, das man auf der Webseite herunterladen konnte. Ich bin nicht durch das gesamte Paper durchgekommen: Als ich sah, dass die Schwachmaten, die hinter diesem ultimativen Mist stehe, nicht mal bis drei zählen können, war für mich das Maß voll. Das ist nicht metaphorisch zu verstehen: Sie faseln da irgendwas von selbst definierten Metriken über einem gerichteten, azyklischen Graphen und verzählen sich dann bei der Bestimmung der Werte der Metriken auf einem Beispielgraphen, den sie selber zusammengestellt haben (unter Figure 2)

Wenn man nicht mal sein White-Paper so hinkriegt, dass Leser denken, man könne sicher bis drei zählen - das muss doch Satire sein?

Fachliche Kritik

Die, die diese Soße zusammengerührt haben und sich jetzt ob der vielen betrogenen Investoren ins Fäustchen lachen, haben auch fachlich so viel Mist erzeugt, dass ich hier mal nur einige Gesichtspunkte herausgreife.

Ich möchte dazu gleich den einzigen korrekten Gedanken, den ich gefunden habe als erstes anführen (korrekt wahrscheinlich deswegen, weil er nicht den Gehirnen hinter IOTA entsprungen ist): Transaktionen in BitCoin kosten Geld, daher kann man keine beliebig kleinen Beträge tranferieren, bzw. macht das betriebswirtschaftlich keinen Sinn. Soweit - wie gesagt - korrekt.

Aber das System, das hier entworfen ist ist kompletter Quatsch: Die Verursacher von IOTA reduzuieren die Kosten auf den puren monetären Aspekt und wollen damit in der IoT-Gemeinde punkten: Transaktionen von intelligenten Sensoren kosten kein Geld. Aber geld sind nicht die einzigen Kosten! Bei IoT kommt es mehr als bei allen anderen Geräte-Kategorien auf Effizienz und Stromsparen an! Für eine Transaktion soll aber ein solcher intelligenter Sensor (und jedes andere IoT-Device) zwei andere Transaktionen validieren. Dazu sind kryptographische Rätsel zu lösen, die bei Definition anspruchsvolle, komplexe Berechnungen bedingen! IoT-Devices haben Prozessoren, die klein in jeder Beziehung sind: Diese sollen jetzt plötzlich Operationen ausführen, die um Größenordnungen anspruchsvoller sind als das, das zur Aufrechterhaltung ihres eigentlichen Anwendungszwecks notwendig ist? Schwachsinnig! Dem ganzen wird aber durch folgenden Twist die Krone aufgesetzt: Ein Knoten, der an IOTA teilnimmt muss die zu prüfenden Transaktionen irgendwo herbekommen. Er ist dazu mit anderen Knoten vernetzt - die Gesamtheit davon heißt Neighborhood. Fragt ein Knoten eine bestimmte Zeitspanne lang nicht mehr nach neuen zu validierenden Transaktionen, so wird er von den anderen aus dem Verbund entfernt - kann also auch keine eigenen Transaktionen mehr ausführen!

Einer der sich immer wiederholenden Designparadigmen in der welt von IoT ist, dass ein System sich in einen besonders Strom sparenden Modus begibt, wenn es nichts zu arbeiten hat. Das geht mit IOTA nicht mehr: selbst wenn ein solches Device nichts zu tun hätte, das mit seinen eigentlichen Aufgaben zusammenhängt, muss es weiter arbeiten und Transaktionen prüfen! Nicht nur das: es muss zu diesem Zweck auch Kommunikation aufrecht erhalten. Drahtlose Kommunikation ist einer der wesentlichen Faktoren des Energieverbrauchs in IoT-Devices, weswegen aktuell neue Standards geschaffen werden, die einen vergleichsweise geringen Durchsatz (wir reden hier von kBit pro Tag) mit hoher Robustheit und geringem Energieverbrauch kombinieren.

IOTA geht also gegen eines der ehernen Design Principles von IoT an: Energieeffizienz - und das gleich viermal:

  • Sinnlose Ressourcenverschwendung weil größeres Silizium für die komplexen Rechenvorgänge gebraucht wird
  • Sinnlose Rechenzeitverschwendung bei der Lösung der kryptographischen Rätsel - selbst wenn das Device selbst gar keine Transaktion auslösen will
  • Sinnlose Verschwendung von Bandbreite bei der drahtlosen Kommunikation zur Übertragung der zu validierenden Transaktionen - selbst wenn das Device selbst gar keine Transaktion auslösen will
  • Sinnlose Verschwendung von Energie durch erzwungenes Always-On der Infrastruktur der drahtlosen Kommunikation - selbst wenn das Device selbst gar keine Transaktion auslösen will

Alles in allem ist IOTA definitiv ein Beispiel für etwas, das in einer Dot-Com-Blase groß wird von Leuten, denen es aufs schnelle Geld ankommt (haben sie geschafft) und dafür was passiert, wenn Juristen und Betriebswirtschaftler (dass in der Firma einer arbeitet, der von der Technik Ahnung hat darf stark bezweifelt werden) Buzzword-Bingo spielen und aus Versehen den Technik-Zettel als Unterlage nehmen.

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Wer daran teilhaben und eventuell sogar davon profitieren möchte, muß damit leben, daß ich hin und wieder kleine Ausflüge in Bereiche mache, die nichts mit IT, Administration oder Softwareentwicklung zu tun haben.

Ich wünsche allen Lesern viel Spaß und hin und wieder einen kleinen AHA!-Effekt...

PS: Meine öffentlichen GitHub-Repositories findet man hier - meine öffentlichen GitLab-Repositories finden sich dagegen hier.